Das schwäbische Viertelesglas
Ein Viertelesglas ist ein Schankgefäß mit einem Schankmaß von ¼ L und kann verschiedene Formen, beispielsweise auch die Form eines „Römers“, haben.
Das schwäbische Viertelesglas ist ein bauchiges, klares Glas mit einem grünen Henkel und einem Schankmaß von ¼ L. Das Schankmaß von ¼ L, also 0,25 L weicht von den ansonsten festgelegten 0,10er Schritten ab und wird als Lex Schwaben bezeichnet. Für das schwäbische Viertelesglas habe ich zwei, leicht unterschiedliche, Formen feststellen können. Eine schlanke Form und eine etwas bauchigere Form.
Beschreibung eines Händlers, der das Glas „Weinseidel“ nennt:
Den „Weinseidel“ gibt es mit klarem oder grünem Henkel. Das Glas ist äußerst robust und hält den Belastungen in der Hotellerie und Gastronomie mühelos stand. Zudem ist das Glas spülmaschinengeeignet. Der Weinseidel ist auch bestens für Weinfeste geeignet. Bekannt ist das Glas auch als „Original schwäbisches Vierteles-Glas“.
In eher touristischen Publikationen findet man folgende Zitate:
Das Original schwäbische Viertelesglas darf in keiner Besenwirtschaft fehlen. Es ist für Rechts- und/oder Linkshänder geeignet.
Das schwäbische Viertelesglas ist ein „nicht standesgemäßes Trinkwerkzeug“.
Genießen Sie Ihre Weine aus einem der traditionsreichsten Gläser unserer Region.
Die Schwaben trinken ihren Wein aus Tassen.
Aber: Wer hat das schwäbische Viertelesglas eigentlich erfunden oder wer hat dieses Glas gestaltet, wie man heute sagen würde, designt? Nach längerem Suchen: Fehlanzeige! Und so ging es wohl auch Ralf Beckmann, damaliger Stadtarchivar von Fellbach, der im Buch „…no’a Viertele!“ aus dem Jahr 2000 schreibt:
„Das Viertelesglas ist ein bisher unerforschtes Thema. Es war unmöglich, herauszufinden, von wem es erstmals produziert wurde und unter welchen Umständen es sich ausschließlich in Württemberg durchsetzen konnte. In Fellbach lässt sich das Viertelesglas fotografisch erstmals für den Fellbacher Herbst 1949 belegen.“
Bei der bekannten Glashandelsfirma Böckling, die auch heute noch das Glas vertreibt, konnte ich nichts in Erfahrung bringen. Auch beim Museum für Alltagskultur in Waldenbuch, das zum Württembergischen Landesmuseum gehört, konnte man mir nur mitteilen, dass das schwäbische Viertelesglas einer der Gegenstände zu sein scheint, die weit verbreitet sind und dem „No Name Design“ zuzurechnen sind. Das Schwäbische Viertelesglas gehört also zum anonymen Alltagsdesign und ist nicht Teil der offiziell zelebrierten Designkultur, es kann aber doch als Designklassiker ohne Designer betrachtet werden – so sagen die Fachleute.
Möglicherweise hat ein kleiner Glaskrug Pate gestanden, nämlich das „Stuttgarter Viertelesglas“. Dieses Glas stammt aus der Auflösung der Weinhandlung „Grill“ in Schorndorf und befand sich in einem Karton mit dem Aufdruck „Stuttgarter Viertelesglas“. Es hat aber nicht die runde Form. Bekannt ist diese Glasform in verschiedenen Größen als Bierkrug mit der Bezeichnung „Tübinger Walzenseidel“.
Ebenfalls Bierkrüge sind der „Tübinger Kugelseidel“ und der „Tübinger Ernstseidel“. Diese Gläser wurden in den 1920er und 1930er Jahren in der Sächsischen Glasfabrik August Walther & Söhne AG in Ottendorf-Okrilla und Radeberg hergestellt. Es handelt sich bei den Bierkrügen wohl um Studenten- und Burschenschaftskrüge. Der „Tübinger Kugelseidel“ und der „Tübinger Ernstseidel“ könnten von der Form her eher als Vorläufer des „Schwäbischen Viertelesglases“ gesehen werden, welches ja bis heute als „Weinseidel“ vertrieben wird.
Aus heutiger Sicht sind es eher Tischweine aus Literflaschen, die aus schwäbischen Viertelesgläsern getrunken werden. Der moderne und gehobene Weintrinker trinkt seinen (noch qualitätvolleren) Wein natürlich aus einem ebenfalls bauchig geformten Stielglas. Zwischenzeitlich gibt es ja sogar für manche Weinsorten eigens geformte Gläser. Es möge sich Jede/r dazu seine eigenen Gedanken machen.
Jürgen Rieger