Über den besonderes ausgeprägten Winterbacher Gemeinsinn
Unter Gemeinsinn versteht man die Bereitschaft, sich für das Gemeinwohl, also das Wohl der örtlichen Gemeinschaft einzusetzen. Dieser Gemeinsinn ist unter den Remstalgemeinden in Winterbach in besonderem Maße ausgeprägt. Dies bekommt man auch in Gesprächen mit den Bewohnern anderer Gemeinden im Remstal des Öfteren anerkennend zu hören.
Und es trifft ja auch zu. In den Gemeinschaftsarbeiten in den 1930er Jahren und seit 1970, in den Fördervereinen für die Salierhalle, die Kelter oder das Pflegeheim, in regionalen Projekten wie „Rems total“, „Zeitreise Remstal – 125 Jahre Automobil“, Remstal Gartenschau, aber auch in örtlichen Großveranstaltungen wie den jährlichen Brunnenfesten, den 10-jährlichen Heimattagen, dem 125-jährigen Jubiläumsfest des Musikvereins und natürlich im alle zwei Jahre stattfindenden Zeltspektakel fand und findet dieser besonders ausgeprägte Winterbacher Gemeinsinn seinen Ausdruck.
Aber woher kommt denn dieser ausgeprägte Gemeinsinn gerade in Winterbach?
Diese Frage habe ich mir noch nie gestellt und eine junge Frau aus Remshalden mit familiären Winterbacher Wurzeln hat dieser Tage gemeint, er käme vielleicht davon, dass es in Winterbach schon immer viele Handwerker gab und diese auch schon immer sehr gut zusammengearbeitet (z. B. gemeinschaftliches Maschinenhaus der Holzhandwerker) hätten.
Zusätzlich hätten diese in den eigenen Großfamilien und den Vereinen, der Feuerwehr und der Kirche ein, wie man heute sagen würde, ein gut verzweigtes Netzwerk, auch des gegenseitigen Helfens aufgebaut. So sei eine Ortsgemeinschaft entstanden, die über das Politische und das Kirchliche hinaus bis heute zusammenhält.
Ein weiter zurückliegender Grund könnte aus meiner Sicht sein, dass es in Winterbach im Lauf der Jahrhunderte sehr viele, teils sehr schwere Hochwasser gab und man immer zusammenhalten musste, um die Folgen zu beseitigen. Diese schwerwiegenden Folgen gab es in den anderen Gemeinden im Remstal zumindest in diesem Umfang nicht, da sie meistens etwas erhöht über der Rems, beispielsweise am Fuß der Weinberge bzw. an einem Seitenbach lagen.
Winterbach hatte aber mit der Rems und dem Lehenbach gleich mit zwei hochwasserträchtigen Gewässern zu kämpfen. Selbst über das Pflaster herunter kamen Schurwaldhochwasser. So ist es denkbar, dass gerade in Winterbach dieses Zusammenhalten mehr als in anderen Gemeinden notwendig war und dieser Geist die Jahre überdauert hat.
Was auch denkbar wäre, ist, dass dieses Gemeinschaftsgefühl in den 1930er Jahren einen zusätzlichen Schub erhalten hat. Karl Nachtrieb war Stellvertreter des zum Militärdienst eingezogenen Bürgermeisters. Er hat dieses Amt mit großem Engagement ausgefüllt und hat auch die Gemeinschaftsarbeiten ins Leben gerufen. Auch größere freiwillige Projekte wie der Bau des Freibades oder die Verdolung des Keltergrabens, um einen breiteren Zugangsweg zum Ort zu schaffen, wurden in Gemeinschaftsarbeiten durchgeführt. Aber auch Karl Nachtrieb musste zum Militär und schrieb nach 30 Monaten als stellvertretender Bürgermeister unter anderem den folgenden Satz in das Protokollbuch des Gemeinderates: „Die Spanne Zeit hat gezeigt, dass, wenn der Winterbacher an der richtigen Stelle angepackt wird, mit ihm alles möglich ist.“
Bleibt nur zu wünschen, dass nach der Zeit von Corona, in der ja das „Gemeinschaftliche“ notgedrungener Maßen sehr gelitten hatte, der ausgeprägte Winterbacher Gemeinsinn weiterhin bestehen bleibt.
Jürgen Rieger