Vom Milchhäusle

Im Heimatbuch von 1972 kann man lesen, dass in Winterbach bis zum Zweiten Weltkrieg die Landwirtschaft eine der Haupteinnahmequellen für die Bevölkerung war. So gab es im Jahr 1933 noch 229 Betriebe mit 574 Rindern und im Jahr 1949 gar noch 231 Betriebe, allerdings nur noch mit 381 Rindern. Bis auf etwa 10 Betriebe handelte es sich um Nebenerwerbslandwirte mit kleineren Flächen.

Im Heimatbuch von 1996 kann man dann lesen: „Die Winterbacher Bauern waren auf die genossenschaftliche Vermarktung der Milch dringend angewiesen. Deshalb wurde im Jahr 1924 von der Milchverwertungsgenossenschaft eine Milchsammelstelle, das so genannte „Milchhäusle“ errichtet. Im Jahr 1934 wurde das Milchhäusle vollständig umgebaut und erweitert, und 1952 folgte nochmals ein Anbau mit Einbau eines Ladens.“

Milchhäusle im Jahr 1939 (von Süd-Westen) Anmerkung: Auf dem Foto sieht man links im Hintergrund das Rathaus. Aus dem Bühnefenster hängen Feuerwehrschläuche zum Trocknen.

1944 – Frau Liesel Auwärter und Frau Frida Kurz beim Verkaufen

Viele Winterbacher holten im Milchhäusle täglich ihre frische Voll- oder Magermilch, Butter, Sauerrahm, Schlagrahm, Käse oder Margarine. Das Milchhäusle war aber zu klein, um ein größeres Warenangebot anzubieten, und so wurde es von der Entwicklung überrollt, zumal die Milchanlieferung durch die Stilllegung der kleineren landwirtschaftlichen Betriebe immer mehr zurückging.“

Eine Erinnerung, die viele Winterbacher an das Milchhäusle noch haben, ist die, dass man dort „Schlagrähmle“ bekam. Das waren mit Schlagrahm gefüllte Waffeln, verziert mit einem Gummibärchen. Mit dieser köstlichen Besonderheit bleibt das Milchhäusle vielen in bester Erinnerung.

Im Jahr 1974 erwarb die Gemeinde das Milchhäusle von der Milchverwertungsgenossenschaft um es, wie im Ortssanierungsplan vorgesehen, abzubrechen. Dazu las man dann im gleichen Jahr in den Schorndorfer Nachrichten: „Schwalben verzögerten Milchhäusle-Abbruch. Seit wenigen Tagen ist das Winterbacher Milchhäusle vom Erdboden verschwunden. Ursprünglich sollte es bereits im Sommer dieses Jahres abgebrochen werden, doch der Gemeinderat schob den Abbruch wegen der zahlreichen Schwalbennester unter dem Dachvorsprung bis nach dem Abzug der Vögel auf. Mit dem Milchhäusle verschwand jetzt auch ein jahrelanges Kommunikationszentrum in der Gemeinde. Doch nachdem zuletzt nur noch sechs Landwirte Milch in der Sammelstelle ablieferten, wurde der Betrieb eingestellt. Auf der freigewordenen Stelle soll jetzt ein Parkplatz angelegt werden.“

1974, Milchhäusle (von Nord-Osten) mit dem Ladenanbau aus dem Jahr 1952

Das nachfolgende Bild zeigt das Milchhäusle (von Süden), wie es im Hochwasser steht. Auch die ehemalige Bebauung im Oberdorf, wie sie sich vor den heute dort stehenden Geschäftshäusern dargestellt hat, ist zu sehen. Der Verlauf des oberhalb des Milchhäusles noch nicht verdolten Fleckenbachs ist an den aus dem Hochwasser ragenden Geländern zu erkennen. Im Vordergrund links sieht man einen Misthaufen mit Lachpumpe.

 

Jürgen Rieger